8. Juli 2011

Das Tunguska- Ereignis

"Dies war keine Frucht von Planeten und Sonnen die durch Teleskope oder auf den photographischen Platten unserer Observatorien zu erkennen wären. Dies war kein Hauch von den Himmeln deren Bewegungen und Dimensionen von unseren Astronomen vermessen werden, oder die ihnen als zu unendlich für jede Messung erscheinen. Es war nur eine Farbe aus dem All, ein furchteinflößender Bote aus formlosen Sphären der Unendlichkeit jenseits aller uns bekannten Natur."
"Die Farbe aus dem All" von H.P. Lovecraft (1927)

Am Morgen des 30. Junis 1908, gegen 7:15 Uhr, beobachteten Augenzeugen einen großen Feuerball der quer über den Himmel der Region der Steinigen Tunguska (PodkamennayaTunguska) in Sibirien flog. Der Bauer Sergey Semjonov aus dem Dorf Vanavara:

"Ich saß auf der Veranda meines Hauses und blickte nach Norden...[] Plötzlich riss der Himmel auf und hoch über dem Wald schien alles in Feuer gehüllt zu sein. Ich spürte eine große Hitze, so als ob mein Hemd Feuer gefangen hätte."

Eine Reihe von Donnerschlägen war bis zum Dorf von Achajewskoje hörbar - in einer Entfernung von mehr als 1.200 Kilometer.
Am selben Tag wurden an verschiedenen Wetterstationen in Europa seismische und atmosphärische Druckwellen aufgezeichnet und in den folgenden Tagen waren seltsame atmosphärische Erscheinungen beobachtbar: silbrig leuchtende Wolken, farbenprächtige Sonnenuntergänge und ein unheimliches Leuchten in der Nacht.

Lokale Zeitungen in Russland berichtete von einem Meteoriteneinschlag, während internationale Zeitungen über einen möglichen Vulkanausbruch spekulierten - die Ereignisse nach dem Ausbruch des Krakatau im Jahre 1883 waren noch lebendig in Erinnerung.
Dr. Arkady Voznesensky (1864-1936), Direktor des magnetografischen und meteorologischen Observatoriums in Irkutsk, sammelte kurz nach dem Ereignis die Berichte der Augenzeugen und schlug als erster die Hypothese von einem außerirdischen Impakt vor, aber die Unzugänglichkeit des Gebietes und die politische Situation in Russland verhinderte jegliche weitere Erforschung des Phänomens für die nächsten 20 Jahre.
13 Jahre später stieß der russische Mineraloge Leonid Alexejewitsch Kulik auf einige Berichte in alten Zeitungen, die von einer Explosion und einem großen leuchtenden Objekt erzählten. Kulik interessierte sich für das Ereignis, er vermutete dass es sich bei dem Objekt um einen Meteor handelte und hoffte dass man die seltenen Metalle der Eisenmasse bergen könnte. Nach einer langen und anstrengenden Reise erblickte Kulik am 13. April 1927 eine Fläche von mehr als 2.000 Quadratkilometer mitten in der Taiga in der sämtliche Bäume umgeknickt waren - dies musste das Epizentrum der Explosion sein.

Abb.1. Der berühmte Wald von Tunguska mit den durch die Druckwelle der Explosion niedergerissenen Bäumen, Fotografie von Evgeny Krinov (1929).

Trotz intensiver Suche konnte Kulik keinen eindeutigen Meteoritenkrater identifizieren, er fand einige kreisförmige Gruben in der Mitte des verwüsteten Gebiets, die er als mögliche Einschlagskrater einzelner Fragmente interpretierte - allerdings wurde trotz aufwendiger Grabungen kein größeres Fragment aus Metall gefunden.
Kulik veröffentlichte seine Beobachtungen im Jahre 1927, bald griffen lokale und internationale Zeitschriften die Geschichte auf die als "Tunguska- Ereignis" berühmt-berüchtigt werden wird.
Kulik formulierte eine erste Hypothese um das augenscheinliche Fehlen von Einschlagskratern zu erklären: er schlug vor dass ein Asteroid bereits in der Atmosphäre zerplatze und die einzelnen Bruchstücke zu klein waren um in den sumpfigen Boden typische Krater zu hinterlassen. Kulik führte drei weitere Exkursionen ins Gebiet durch, konnte aber den Verbleib der vermuteten Fragmente nicht lösen - im Jahre 1942 wird er in deutscher Gefangenschaft sterben.

Der Mangel an direkten Beweis eines Meteoritenimpakts führte in den folgenden Jahrzehnten zu zahlreichen Spekulationen und Hypothesen:

Im Jahr 1934 schlugen sowjetische Wissenschaftler eine Kometen-Hypothese vor - ein Komet - bestehend hauptsächlich aus Eis -explodierte in der Atmosphäre und verdampft vollständig.

Zwischen 1945 und 1959 schlug der der Ingenieur Aleksander Kasantsews, beeinflusst durch die Detonation der erstens Atombomben, eine ungewöhnliche Erklärung vor: die Explosion von Tunguska war nuklearen Ursprungs, möglicherweise die Bruchlandung eines außerirdisches Raumschiffs.

In den letzen Jahren schlugen der deutsche Astrophysiker Wolfgang Kundt, der Amerikaner Phipps Morgan und die Italienerin Paola Vannucchi eine geologische Ursache der Explosion vor: so genannte Verneshots - Gasexplosionen eines Magma/Gas Gemisches unterirdischen Ursprungs.

Allerdings bleibt bis heute die Meteoriten/Kometenhypothese die überzeugendste Erklärung, vor allem aufgrund der Augenzeugenberichte, den Verlauf der umgestürzten Baumleichen und Indizien in den Sedimenten. Ein Komet/Meteor von 30-80 Meter Durchmesser, der in einer Höhe von fünf bis zehn Kilometer zerbrochen und explodiert wäre, könnte die beobachtete Zerstörung und das Fehlen eines Einschlagskraters erklären.
Verschiedene Untersuchungen konnten mineralische Bestandteile im sumpfigen Boden nachweißen, die generell mit Impakten assoziiert sind: Nanodiamanten und Schmelzkügelchen aus silikatischem und metallischen Material.

Kritiker weisen allerdings auf einige Ungereimtheiten hin - Berichte über eine Reihe von Donnern die über einen längeren Zeitraum wahrgenommen wurden passen schlecht zum Absturz eines einzelnen Himmelskörpers, außerdem sind die sedimentologischen Hinweiße auch durch eine kontinuierliche Hintergrundablagerungen außerirdischen Materials erklärbar -der beste Beweiß wäre der Fund eines eindeutigen Fragments des Meteoriteneinschlags.
Im Jahr 2007 publizierten Luca Gasperini und sein Forschungsteam der Universität von Bologna den Nachweiß eines möglichen Einschlagskraters - der 50 Meter tiefe Cheko-See, der möglicherweise nur etwas älter als 100 Jahre ist und für die Gegend außergewöhnlich tief erscheint (Seen in Permafrost sind zumeist nur oberflächliche Erscheinungen). Auch hier ist der vorgeschlagene Ursprung des Sees umstritten.
Erst die Entdeckung von außerirdischem Materials auf dem Grund des Sees könnte die Diskussion über das Geheimnis von Tunguska nach mehr als 100 Jahren eindeutig klären.

Literatur:

COLLINS, G.S.; ARTEMIEVA, N.; WÜNNEMANN, K.; BLAND, P.A.; REIMOLD, W.U. & KOEBERL, C. (2008): Comment article Evidence that Lake Cheko is not an impact crater. Terra Nova 20: 165-168
GASPERINI, L.; ALVISI, F.; BIASINI, E.; BONATTI, E.; LONGO, G.; PIPAN, M.; RAVAIOLI, M. & SERRA, R. (2007): A possible impact crater for the Tunguska Event. Terra Nova 19: 245-251
GASPERINI, L.; BONATTI, E. & LONGO, G. (2008): Reply Lake Cheko and the Tunguska Event: impact or non-impact? Terra Nova 20: 169-172
GASPERINI, L.; BONATTI, E.;ALBERTAZZI, S.; FORLANI, L.; ACCORSI, C.A.; LONGO, G.; RAVAIOLI, M.; ALVISI, F.; POLONIA, A. & SACCHETTI, F. (2009): Sediments from Lake Cheko (Siberia), a possible impact crater for the 1908 Tunguska Event. Terra Nova 21: 489-494
RUBTSOV, V. (2009): The Tunguska Mystery. Springer-Publisher: 318

VOGEL, M. (2008): Kosmische Bombe auf Sibirien. Bild der Wissenschaft Nr.6: 82-85

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