30. September 2011

Archaeopteryx: Die Alte Feder

Eine kurze Notiz, nicht einmal eine ganze Seite lang, zurückdatiert auf den 30. September 1861: so benennt der deutsche Paläontologe Christian Erich Hermann von Meyer eine sensationelle neue Art und das was noch heute als Popikone der Evolutionslehre angesehen wird: Archaeopterix [sic*] lithographica. Meyer hatte den Abdruck einer einzelnen Feder untersucht die 1860 in der Plattenkalk-Formation von Solnhofen entdeckt worden war. Nachdem er festgestellt hatte, dass es sich bei dem Fossil weder um eine Fälschung noch um ein rezentes Exemplar handelte, und nach der Entdeckung eines beinahe vollständigen Exemplar in 1861 (Londoner Exemplar), fühlte er sich sicher genug um das Fossil als neue Art von mesozoischen Vogel zu bestimmen - der erste bekannte Vogel aus dem Erdmittelalter überhaupt. 

Abb.2. Der Abdruck und Gegenabdruck der ersten beschriebenen Archaeopteryx-Feder wird heute im Paläontologischen Museum in München und Naturhistorischen Museum Berlin aufbewahrt.
Archaeopteryx gehört heute, 150 Jahre nach der Erstbeschreibung, zu den seltensten fossilen Wirbeltierarten - nur 10 Exemplare sind offiziell bekannt.

Literatur:

MEYER v., H. (1861): Archaeopterix lithographica (Vogel-Feder) und Pterodactylus von Solenhofen. Neues Jahrbuch fur Mineralogie, Geognosie, Geologie und Petrefakten-Kunde. 6: 678-679
OWEN, R. (1863): On the Archaeopteryx of von Meyer, with a description of the fossil remains of a long-tailed species, from the lithographic stone of Solenhofen. Philosophical Transactions of the Royal Society of London 153: 33-47 


* im Inhaltsverzeichnis des Jahrbuchs hat sich offensichtlich ein Fehlerteufel ausgetobt, Meyer selbst nutzt die richtige Schreibweise in seiner Notiz

19. September 2011

Die Gletschermumie

Zusammenfassung des Artikels auf Scientific American
"September 19, 1991: The Iceman Natural History"

Es war ein schneller und einsamer Tod, der ungefähr 45 Jahre alte Mann wurde von einem Pfeil in den Rücken getroffen und verblutete innerhalb weniger Minuten hingekauert in einer Flachen Mulde im steinigen Gelände. Die Leiche wurde am Tatort zurückgelassen, die Angreifer vermuteten wohl das Tiere und die Zeit die Leiche "entsorgen" würden, aber die trockene und kalte Luft auf über 3.200 Meter Meereshöhe trocknete den Körper rasch aus. Während des Winters bedeckte Schicht um Schicht aus Schnee die Mulde und den Körper, der Schnee wandelte sich mit der Zeit in Eis um und das Eis konservierte den Leichnam für die nächsten Jahrtausende.

Abb.1. und 2. Schnee bedeckt im Spätsommer die Mulde in der die Mumie eines kupferzeitlichen Mannes gefunden wurde.
Erst am 19. September 1991 - vor 20 Jahren - entdeckten zwei deutsche Touristen, Helmut und Erika Simon, auf eine Wandertour rund um die Similaunhütte die Mumie die nach einer starken Abschmelzphase der Gletscher aus dem Eis herauslugte.
Ötzi - wie er bald darauf von den Medien getauft wurde - ist eine einzigartige Zeitkapsel aus der Epoche der späten Kupferzeit. Aber die Untersuchung des Leichnams und der mitgeführten Ausrüstung erbrachte nicht nur kulturgeschichtlich wichtige Informationen, sondern lieferte auch Hinweiße der Gletschergeschichte während der ersten Hälfte des Holozäns. Glaziale Sedimente die aus diesem Zeitabschnitt stammen existieren praktisch nicht, spätere Gletschervorstöße haben sie erodiert. Kleinere Gletscherstände wurden jedoch aufgrund klimatischer Hinweiße aus Pollenkurven vermutet.
Während des letzten Hochglazials vor ungefähr 18.000 waren die Zentralalpen beinahe vollständig von Eis bedeckt, nur die höchsten Grate und Gipfel lagen wie Inseln inmitten des weißen Meers verteilt. Im Bereich der Similaunhütte konnte eine Erosionslinie die vom fließenden Gletschereis verursacht wurde auf eine Meerehöhe von 3.060 zu 3.400 Metern gefunden werden.
Die Mumie liegt auf 3.200 Metern und wurde mittels Radiokarbonmethode auf ein Alter von 4.500-4.580 Jahre datiert. Die Einbettung in Eis und die gute Erhaltung lassen vermuten dass Ötzi relativ rasch nach seinem Tod von Schnee und später von Eis bedeckt wurde - die Landschaft also zunächst eisfrei war und sich bald darauf ein Gletscher zu bilden begann. Dieser klimatische Wandel ist auch durch Bodenhorizonte nahe der Fundstelle belegt, die ebenfalls Alter von 5.600 bis 3.800 Jahre aufweisen. Böden brauchen ein eisfreies Gelände und größere Zeitabschnitte um sich zu bilden, man vermutet 500 bis 1.200 in diesem Fall - also herrscht zumindest in diesen Zeitabschnitt ein relativ mildes Klima.
Der Eismann und seine Fundstelle beweißen dass zwischen 9.000 und 5.000 Jahren die Gletscher kleiner waren als in der nachfolgenden zweiten Hälfte des Holozäns.

Auch die Artefakte ermöglichen eine Rekonstruktion der Umgebung von Ötzi. Der Mann aus dem Eis konnte aus einer reichen Umwelt benötigte Rohstoffe gewinnen: Die Axt und der Bogen sind aus elastischem Holz der Eibe (Taxus baccata) hergestellt, die 14 Pfeile aus hartem Holz der Hasel (Corylus avellana), der Dolchgriff besteht aus hartem Eschenholz (Fraxinus excelsior), das Halfter ist mit Rinde der Linde (Tilia) hergestellt. In einem Birkenrindengefäß (Betula) wurde Holzkohle von Fichte oder Lärche (Picea / Larix), Kiefer (Pinus mugo), Grünerle (Alnus viridis), Weide (Salix reticulata) und Ulme (Ulmus) gefunden.

Die meisten dieser Arten kommen noch heute in den Tallagen des Vinschgaus und des Schnalstales vor: ein von Laubholz dominierter, Wärme-liebender Mischwald.

Die botanische Hinweiße bestätigen ein Klima vergleichbar den modernen Verhältnissen, mit Gletschern ähnlicher Ausdehnung wie in den modernen Zeitepochen - allerdings mit der fortschreitenden Klimaerwärmung und der verstärkten Gletscherschmelze sind die Gletscher auf ein historisches Minimum zurückgewichen, dass in den letzten 5.000 Jahren nicht unterschritten wurde  - und sie schmelzen weiter.

Abb.3. Rekonstruktion des Holozäns in den europäischen Alpen mit Gletscherschwankungen in der Schweiz und Österreich nach MAISCH (2000), PATZELT et al. (1996) und PATZELT (2000). Der erste Teil des Holozäns wurde von einem relativ milden Klima gekennzeichnet, mit geringfügigen Schwankungen der Alpengletscher - Ötzi starb während eines Gletschervorstoßes mit der Bezeichnung Rotmoos II.
Literatur:

BARONI, C. & OROMBELLI, G. (1996): Short paper – the alpine “Iceman” and Holocene Climatic Change. Quaternary Research 46: 78-83
MAGNY, M. & HAAS, J.N. (2004): Rapid Communication – A major widespread climatic change around 5300 cal. yr BP at the time of the Alpine Iceman. Journal of Quaternary Science 19(5): 423-430
MAISCH, M. (2000): The longterm signal of climate change in the Swiss Alps: Glacier retreat since the end of the little Ice Age and future ice decay scenarios. Geogr. Fis. Dinam. Quat. 23: 139-151
OEGGL, K. (2009): The significance of the Tyrolean Iceman for the archaeobotany of Central Europe. Veget. Hist. Archaeobot. 18:1-11
PATZELT, G.; BORTENSCHLAGER, S. & POSCHER, G. (1996): Exkursion A1 – Tirol: Ötztal-Inntal. Exkursionsführer DEUQUA-Tagung Gmunden/Oberösterreich 14-16.9.1996: 23
PATZELT, G. (2000): Natürliche und anthropogene Umweltveränderungen im Holozän der Alpen. Rundgespräche der Komission für Ökologie, Bd. 18 Entwicklung der Umwelt seit der letzten Eiszeit: 119-125