20. Dezember 2014

Geo-Mythologie: Die Goldameisen des Herodot

In allen Kulturen spielten - vor allem vor dem Aufkommen des naturwissenschaftlichen Weltbildes - mündliche Überlieferungen eine wichtige Rolle um Naturerscheinungen zu erklären. Es gibt drei Stufen von Erzählungen:
  • Märchen sind reine Fantasiegeschichten, die sich weder zeitlich noch lokal festmachen lassen.
     
  • Legenden beinhalten einen wahren Wert, darüber hinaus enthalten sie aber auch eine religiöse Komponente, klassische Beispiele sind Geschichten von Heiligen, die mit vorbildhaften Lebensläufen oder Wunder der religiösen Bedeutung der Erzählung Nachdruck verleihen.
     
  • Sagen und Mythen enthalten einen höheren Realitätsanspruch, es spielen Menschen, Orte und Gegebenheiten der jeweiligen Zeit eine Rolle. Oft haben sie ihren Ursprung in einer verbürgten historischen Begebenheit.
Die Geo-Mythologie versucht geologischen Phänomene oder Ereignisse, die hinter einem Mythos stehen könnten, zu ergründen und die Geschichte hinter einer Sage zu erforschen.

 "Allemsig müsst ihr sein, ihr Wimmelscharen; nur mit Gold herein! Den Berg lasst fahren!"
- so singt der Chor der goldsammelnden Ameisen im Faust - Der Tragödie zweiter Teil (1825-31). Autor und Geologe Johann Wolfgang von Goethe greift hier in seinem Werk eine sehr alte Sage auf.
 
Bereits der Grieche Herodot (~490-424 v. Chr.) berichtet über goldsammelnde Ameisen, von wo der Mythus rasch in die  griechische und römische Kultur übergeht, z.B. beim römischen Naturforscher Plinius d. Ä. (~23-79 n. Chr.). Laut Herodot gibt es in einem abgelegenen Landstrich von Indien Ameisen, kleiner als Hunde, aber größer als Füchse, die beim Graben ihrer Baue und Nester auch Gold zutage fördern. Während den heißesten Stunden des Tages verkriechen sich die Ameisen in ihren Bauten, die Einheimischen nutzen die Gunst der Stunde und sammeln das goldhaltige Gestein, müssen aber auf der Hut sein, da die Ameisen, falls sie den Diebstahl bemerken, sofort die Verfolgung aufnehmen würden. 
Wahrscheinlich hat Herodot selber diese Erzählung vom griechischen Geografen Hekataios von Milet (560-480 v.Chr.) übernommen. Über byzantinische und karolingische Quellen erreicht der Mythus schließlich das Mittelalter und reicht sogar bis in die Neuzeit (z.B. scheint er noch bei Georgius Agricola, 1494-1555, auf). 

Über den eigentlichen Ursprung dieser Sage wurde lange gerätselt. In 1799 formulierte Graf von Veltheim eine erste Theorie um den seltsamen Vergleich zwischen Ameisen und Füchse zu erklären. Im ehemaligen Tartarenreich (Grenzgebiet von Tibet und China) wuschen Gefangene das Gold nicht mit den üblichen Gamsfell, sondern mit Fuchsfellen aus dem Schlamm. Die Füchse wurden nahe der Minen regelrecht gezüchtet und ihre zahlreichen Baue hätten einem Beobachter wahrscheinlich an die zahlreichen Zugänge eines Ameisennest erinnert.
 
Eine andere Erklärung liegt möglicherweise in einem Übersetzungsfehler. In Der altaischen Sprache, die in goldhöffigen Gebieten des Himalaya gesprochen wird, klingt die Bezeichnung für Murmeltier ähnlich dem Sanskrit für Ameise bzw. Gold (!). Die Beschreibung von grabenden Murmeltieren, die vielleicht goldhaltigen Sand zutage brachten, könnte so zum Bild von der goldgrabenden Ameise geführt haben. Auch wird im Persischen das Murmeltier als "Bergameise" bezeichnet, und Herodot könnte einfach diese Bezeichnung übernommen haben.
Tastächlich konnte der französische Ethnologe Michel Peissel, unterwegs im Hindus-Gebiet, in den 90' Jahren beobachten wie Murmeltiere (Marmota borak) in goldhaltigen Sand ihre Grabtunnel anlegten und die Einheimischen versicherten ihm, dass man im Auswurfsmaterials Gold finden konnte.
 
Doch es scheint, dass im Mythos von goldgrabenden Ameisen doch noch ein Körnchen Wahrheit steckt.
 

"Ant Hill Garnets" sind nach der Fundmethode benannt und stammen vorwiegend aus Arizona. Die Ameisen dort transportieren die Granate, die sie beim Graben ihres Baues im Sediment vorfinden, außerhalb ihres Baus und so an die Oberfläche, wo Regen sie am Fuß des Ameisenhügels zusammenschwemmt. Auch wenn Ameisen in der Lage sind große Lasten zu transportieren, umgraben sie größere Steine und selektieren Körner die ungefähr bei einem Gewicht um 1 Karat (0,2g) liegen. Ameisen als Prospektoren wurden auch dazu benutzt um Lagerstätten von Diamanten und Olivin (interessant als Indikator für Kimberlit-Gänge, die Diamanten-führend sein können) aufzufinden - und anscheinend können sich die emsigen Arbeiter auch für Goldnuggets interessieren.


 

Nicht nur Geologen, auch Archäologen können von grabenden Tiere profitieren. Maulwürfe graben bis zu 200 m lange Gänge und erreichen eine Tiefe unter der Erdoberfläche von bis zu 1m. Als 2008 der deutsche Archäologe Günther Wieland im Grösseltal (Baden-Würtemberg) Maulwurfshügel untersuchte, fand er im Auswurf Schlacken von Eisenerzen. Eine anschließende Grabung konnte keltische Verhüttungsöfen, um die 2.500 Jahre alt, nachweißen. Von Maulwürfen zutage gebrachte rotgefärbte Erde kann durch Hitzewirkung von Feuer und Öfen stammen, Holzkohlestücke können auf eine Kulturschicht hinweisen.
Allerdings gilt eine Einschränkung - Maulwürfe bevorzugen nicht zu feuchte und zu trockene Böden.

 
Literatur: 

OKROSTSVARIDZE, A.; GAGNIDZE, N. & AKIMIDZE, K. (2014): A modern field investigation of the mythical “gold sands”of the ancient Colchis Kingdom and “Golden Fleece” phenomena. Quaternary International, In Press: 9
REIMER, T. (2005): Kleiner als Hunde, aber größer als Füchse. Die Goldameisen des Herodot. Nodus Publikationen, Münster : 292

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